Die Neue Fotoschule

Die Neue Fotoschule, Teil I. | 3.0 Kameratechnik

3. KAMERATECHNIK 3.1 WIE EINE DIGITALKAMERA AUFGEBAUT IST Prisma Belichtungs- sensor Okular Mattscheibe teildurchlässiger Schwingspiegel Bildsensor Tiefpassfilter Verschluss Hilfsspiegel für den AF-Sensor Abb. 1 | Komponenten und Strahlengang in einer digitalen Spiegelreflex- kamera. AF-Sensor Im Jahr 1991 hat mit der Kodak DCS 100 mit 1,3 Mega- pixeln das klassische, optische Spiegelreflexprinzip, wie man es von den Analogkameras her kennt, auch in die Digitalkameras Einzug gehalten. Der Vorteil hierbei ist, dass der Fotograf beim Blick durch das Okular auch durch das Objektiv sieht und so immer den Bild(winkel)- eindruck hat, der auch auf dem Film bzw. Sensor zu sehen ist. Hierfür wird vor der eigentlichen Aufnahme der Strahlengang über einen Schwingspiegel sowie ein Pentaprisma umgeleitet zum Okular. Wenn der Fotograf den Auslöser betätigt, klappen Schwingspiegel und Hilfsspiegel aus dem Weg und geben den Strahlenweg vom Objektiv zum CMOS-Bildsensor frei. Dann wird für die Dauer der Belichtungszeit der Verschluss geöffnet. Vor dem ei- gentlichen Bildsensor befindet sich meist ein Filter- Array, zum Beispiel eine Bayer-Filtermaske (siehe folgenden Abschnitt), ein kombinierter Ultraviolett- und Infrarot-Sperrfilter sowie ein optischer Tiefpass- filter zur Unterdrückung von Moiré-Effekten. Neben dem genannten Vorteil hat diese Anordnung in Verbindung mit den vom eigentlichen Bildsensor getrennten Sensorsystemen aber auch einige Nach- teile. So müssen aus dem Okularstrahlengang Strahlanteile ausgekoppelt werden, um vor der Auf- nahme bereits die Belichtung und über den Autofo- kus-Sensor im Boden der Kamera den Fokus messen zu können. Die Auskopplung zu diesem Phasenver- gleichs-AF-System geschieht über einen teiltranspa- renten Bereich im Hauptspiegel in Verbindung mit einem kleinen Hilfsspiegel dahinter. Der Strahlen- gang zum Okular geht durch eine Mattscheibe, in welcher die AF-Sensorpunkte sowie Informationen zur Belichtung eingeblendet werden können. Das LC-Display auf der Rückwand der Kamera ermög- licht nicht nur die sofortige Bildkontrolle nach der Auf- nahme, sondern bietet auch die Möglichkeit des Liveview-Betriebs. Hierbei klappen wie bei der Aufnah- me die zwei Spiegel hoch und geben den Strahlengang zum Bildsensor frei. Dann wird kontinuierlich ein Livebild aufgenommen und direkt auf das LCD übertragen. Die Darstellung auf dem kleinen LC-Display kann pixelgenau eingezoomt werden und bietet dann die perfekte Fokus- kontrolle bei einer Fokussierung von Hand. Ein Nachteil am Liveview-Betrieb ist, dass der Fokus hier nicht mehr über den schnellen, externen AF-Sen- sor im Boden gemessen werden kann, sondern direkt 98

3. KAMERATECHNIK Elektronischer Sucher Bildsensor mit AF-Pixeln Tiefpassfilter Verschluss Abb. 2 | Komponenten und Strahlengang in einer digitalen, spiegellosen Systemkamera. auf dem Bildsensor abgenommen wird. Der Fokus wird somit kontrastbasiert im Bild gemessen und funktioniert damit zumindest im kontinuierlichen Modus für bewegte Motive langsamer. Es existieren aber bereits mehrere Ansätze, diesem Problem zu be- gegnen. So hat Sony Single-Lens-Translucent-Ka- meras entwickelt, die einen feststehenden, teiltrans- parenten Spiegel verbaut haben. Canon wiederum trennt beim Dual-Pixel-Verfahren jeden CMOS-Sen- sorpixel in zwei Hälften und verwendet dann diese Pixelpaare nicht nur zur Bildaufnahme, sondern auch als schnelles Phasenmesssystem. Parallel werden die kontrastbasierten Fokusmessverfahren immer schnel- ler und laufen für Einzelaufnahmen bereits den Pha- sensystemen den Rang ab. Sie unterliegen aktuell al- lerdings noch immer bei der kontinuierlichen Schärfenachführung. Auch spiegellose Systemkameras verwenden typi- scherweise Schlitzverschlüsse und CMOS-Bildsenso- ren nach der gleichen Technologie. Sie messen aber sowohl den Fokus als auch die Belichtung direkt auf dem Sensorchip. Die Fokusmessung kann hierbei entweder kontrastbasiert (bildbasiert) geschehen oder über Verfahren wie die genannte Dual-Pi- xel-Technik. Es sind also die gleichen Verfahren wie bei einer Spiegelreflexkamera im Liveview-Betrieb. Häufig wird bei spiegellosen Kameras statt eines opti- schen Suchers ein elektronischer Sucher verbaut. So kann der Fotograf entweder auf dem Display hinten auf der Kamera oder im kleinen Display im Sucher das entstehende Bild kontrollieren. Der Vorteil ist, dass man hier eine verlässliche What-You-See-Is-What-You-Get- Ansicht hat. Diese komfortable Vorschau macht es bei manchen Kameras mittlerweile sogar möglich, bei Langzeitbelichtungen die Bildentstehung live mitzu- verfolgen (Olympus, Funktion: Live Bulb). Als nachteilig sehen manche Fotografen an, dass kein direkter optischer Weg vom Okular durch das Objek- tiv mehr besteht. Der visuelle Eindruck ist ein anderer, und wer den hellen optischen Sucher gewohnt ist, muss sich etwas umgewöhnen. Gerade in schwieri- gen Belichtungssituationen wie zum Beispiel im Ge- gen- oder Dämmerlicht ist ein elektronischer Sucher aber eine wertvolle Hilfe. Ersatzweise kann man auch bei der DSLR eine Displaylupe aufs LCD aufsetzen, und hat dann im Liveview-Betrieb eine ähnlich gute Vorschau. 99

3. KAMERATECHNIK 3.2 WIE EIN DIGITALER FARBBILDSENSOR FUNKTIONIERT CMOS-Sensor 1 mit Rotfilter Prismen als Strahlteiler Objektiv CMOS-Sensor 2 mit Grünfilter Abb. 3 | Strahlengang in einer Drei-Chip- Kamera. Die Prismen teilen den Strahl in drei Teilstrahlen auf, die dann jeweils zu einem eigenen Sensor für die R-, G- und B-Anteile geleitet werden. CMOS-Sensor 3 mit Blaufilter Sowohl die erste Generation der Charge-Coupled-De- vice-Bildsensoren als auch die aktuelle CMOS-Sensor- generation setzen auf das physikalische Prinzip der Photodiode: Viele Photodioden, die in einem Recht- eck angeordnet sind, ergeben hier einen Matrix-Bild- sensor. Wenn keine Sättigung der Dioden auftritt, ist der Photostrom in einem weiten Bereich linear zur Beleuchtungsstärke. An jede Diode ist eine „Potenzialmulde“ gekoppelt, die wie ein Kondensator die von der Diode abfließende Ladung aufnimmt. Diode und Potenzialmulde erge- ben zusammen ein Sensorpixel. Am Pixel- bzw. Sensor- ausgang befindet sich als Ladungs-Spannungs-Kon- verter ein Verstärker. Der Sensor liefert damit eine Analogspannung, die (näherungsweise) proportional ist zur Belichtung H, mit H = Ev · te (vgl. Anhang Symbole und Abkürzungen sowie die Literatur am Kapitelende). Ein solcher Sensor kann allerdings nur die Helligkeit (Luminanz) messen, nicht aber die Farbinformation. Hierzu sind verschiedene Erweiterungen möglich. Drei-Chip-Kamera Die aufwändigste Technologie zur Farbbildaufnahme ist die Drei-Chip-Kamera. Hier befinden sich hinter dem Objektiv im Innern der Kamera zwei Strahlteiler (Prismen oder halbtransparente Spiegel), die aus dem Strahlengang zwei Strahlen abzweigen. Die drei Strahlen gelangen durch einen Rot-, einen Grün- und einen Blau-Filter und dann erst auf den jeweils zuge- ordneten Sensor. Die Vorteile sind die hohe Farbqua- lität, die gleichmäßige Empfindlichkeit (Bayer-Kame- ras verwenden mehr Grün-Pixel als blaue oder rote, siehe unten) sowie das Ausbleiben von Interpolati- onsverlusten oder Artefakten. Nachteilig sind der hohe Preis und die große Bauform. Im Consumer-Be- reich wird diese Technik nicht genutzt. 100

3. KAMERATECHNIK Beispiel 36: Sie besitzen eine Digitalkamera vom Typ Leica M Monochrom II. Diese Kamera kann von Haus aus nur Schwarzweißbilder aufnehmen. Wie können Sie dennoch damit ein Farbbild aufnehmen? Lösung: Sie können für statische Motive das Prin- zip der Drei-Chip-Kamera nutzen. Nehmen Sie hintereinander drei Bilder auf, platzieren Sie da- bei zuerst einen Rotfilter, dann einen Grünfilter, dann einen Blaufilter vor dem Objektiv. Die drei Einzelbilder können dann als Farbkanäle eines 24-Bit-RGB-Bildes genutzt werden und in Photo- shop über die Kanäle-Funktionen zusammenge- führt werden. Alternativ verwenden Sie die drei Filter in gleicher Abfolge vor der Lichtquelle an- statt vor dem Objektiv. ge abhängt (siehe Abbildungen; ein Produktbeispiel ist die Sigma DP-3). So dringt Licht mit blauer Wellen- länge 1,0–1,8 μm tief ein, mit grüner Wellenlänge 2,7–3,6 μm und mit roter Wellenlänge 5,0–7,0 μm. Wieder entstehen keinerlei Interpolationsverluste, aber dafür sind die Foveon-Sensoren relativ unemp- findlich und rauschen daher im Vergleich zu anderen Sensoren stärker. Der Hersteller Sigma gibt den Auflösungsvorteil der Foveon-Sensoren gegenüber den klassischen Bay- er-Filter-Sensoren (siehe unten) als Faktor 3 an. So hat zum Beispiel die Sigma SD1 Merrill einen Sensor mit 15,36 Megapixeln, wird aber im Datenblatt mit 46 MP angegeben. Diese Rechnung ist zu großzügig. Neu- trale Quellen gestehen den Foveon-Sensoren nur ei- nen Auflösungsvorteil von Faktor 1,5–2 gegenüber den Bayer-Sensoren zu. Foveon-Technologie Eine weitere Möglichkeit zur Aufnahme von Farbbil- dern ist das Verfahren der Firma Sigma (ursprünglich entwickelt von der Firma Foveon). Hier haben die Entwickler den physikalischen Effekt genutzt, dass die Eindringtiefe von Licht in Silizium von der Wellenlän- Bayer-Filtermaske und Demosaicing Die Farbverarbeitung nach Bryce E. Bayer auf der Basis des Bayer-Filters ist das mit Abstand verbreitetste Verfahren zur Aufnahme von Farbbildern. Hier ist über jeder Sensor-Photodiode ein Rot-, Grün- oder Blaufil- Abb. 4 | Foveon- Prinzip der Firma Sigma 101

3. KAMERATECHNIK ter angeordnet. Somit fehlen jedem Pixel zwei Farbin- formationen, die aus den Umgebungspixeln interpo- liert werden müssen. Vorteilhaft ist der geringe Preis dieser Sensoren, nachteilig sind die bei der Interpolati- on entstehenden Artefakte, der Auflösungsverlust hin- sichtlich der Farbinformation sowie die Moiré-Anfällig- keit. Zur Behandlung des eventuell entstehenden Moirés wurden bei diesen Sensoren lange Zeit opti- sche Tiefpassfilter eingesetzt, aber im Zuge der zuneh- menden Auflösung verzichten manche Hersteller mitt- lerweile darauf (Produktbeispiel Nikon D810). Das Bayer-Muster besteht zu 25 % aus Rotfiltern, zu 25 % aus Blaufiltern und zu 50 % aus Grünfiltern. Diese Verteilung wurde gewählt, um sich der Hellempfind- lichkeit des Auges anzunähern, die für Grün besonders hoch ist (Maximum bei 555 nm, siehe Abschnitt 1.2). Dieses einfache Interpolationsverfahren namens Bilinear Demosaicing wird tatsächlich auch in der Praxis genutzt und findet sich zum Beispiel in der Bildverarbeitungsbibliothek OpenCV. Moderne Raw-Konverter wie Adobe Camera Raw oder Capture One verwenden ausgefeiltere Verfahren. Für die Lage des Bayer-Filtermusters existieren vier Möglichkeiten. Im Datenblatt oder auch in den → Exif-Informationen wird die Lage über die Reihenfol- ge der ersten 2x2-Pixel in der oberen, linken Ecke des Bildes notiert. Im Beispiel in Abbildung 5 ergäbe sich RG/GB. Die anderen möglichen Lagen sind GB/RG, GR/BG und BG/GR. Abb. 5 | Bayer-Filter maske nach Bryce E. Bayer / Fa. Eastman Kodak. Die Technologie wurde 1975 zum Patent angemeldet. Beispiel 37: Überlegen Sie ein einfaches Verfahren, um für ein Grün-Pixel in einer Blau-Zeile die fehlende Rot- und Blau-Information zu berechnen. Lösung: Ein einfaches, praktikables Verfahren ist, die nächsten Nachbarn zu verwenden. Für den fehlenden Rot-Wert gilt dann: Rgesucht = (Roben + Runten) / 2 Für den Blau-Wert ergibt sich genauso: Bgesucht = (Blinks + Brechts) / 2 102 Abb. 6 | Die vier möglichen Lagen des Bayer-Filters sind RG/GB, GB/RG, GR/BG und BG/GR. Die Lage des Musters ist relevant für die Rohdaten- konvertierung und kann, falls nicht bekannt, durch einen schnellen Test herausgefunden werden (vgl. auch Abschnitt 4.2). Die Lage des Musters ist zwar für

3. KAMERATECHNIK einen Sensortyp immer gleich, kann aber selbst in ei- ner Kamerafamilie von Typ zu Typ variieren. So liegt das Muster bei der Canon EOS 600D anders als bei der EOS 5D Mark II. XTrans-Matrix Das Bayer-Filtermuster ist zwar sehr verbreitet, aber es ist nicht die einzig mögliche Anordnung der RGB-Fil- terelemente. So wurde von Fuji vor einigen Jahren die XTrans-Matrix entwickelt, die auf ein sich wiederho- lendes Filterelement von 6x6 Pixeln setzt (Bayer: 2x2 Pixel). Diese Anordnung hat folgende Vorteile: • Der störende Moiré-Effekt bei Mustern auf Textilien und Ähnlichem wird minimiert. Dadurch kann der Hersteller auf einen optischen Tiefpass- bzw. An- ti-Aliasing-Filter vor dem Sensor verzichten und so eine höhere effektive Auflösung realisieren. • Im Gegensatz zur Bayer-Anordnung ist in jeder Zeile jede Farbe vertreten. Damit können rote und blaue Linienpaare besser aufgelöst werden. Grüne Linien- paare oder andere Strukturen bleiben in der Auflö- sung unverändert. Source-Produkten wie Darktable wiederum sind häu- fig nur einfache Verfahren implementiert, welche die Möglichkeiten des Sensors nicht ausschöpfen. Mit der Farbbildrekonstruktion auf der Basis des altbekannten Bayer-Filter-Patterns beschäftigen sich internationale Forschergruppen bereits seit Jahrzehnten, und die Al- gorithmen wurden über die Jahre hinweg immer besser. Auch auf diesen Vorteil müssen die XTrans-An- wender verzichten. Weitere Ansätze Über die Jahre hinweg wurden von den Herstellern auch andere Filtermasken entwickelt. So ist in der Canon EOS 7D eine Filtermaske verbaut, die in den Rot-Zeilen andere Grün-Elemente verwendet als in den Blau-Zeilen. Kodak wiederum hat vor Jahren ei- nen Sensor entwickelt, der auf vereinzelte Sensorpixel ohne Filter setzt. Die neuen Ansätze konnten sich bisher aber genauso wenig durchsetzen wie der XTrans-Sensor, und so ist das Bayer-Muster noch immer die mit Abstand ver- breitetste Filtermaske. Abb. 7 | Fuji XTrans-Filter- maske. Die von der Bayer-Maske abweichen- de Anordnung soll Moiré-Effekte unterdrü- cken. Abgebildet ist das 6x6 Pixel große Grundele- ment (Bayer: 2x2 Pixel). Der Nachteil ist, dass sich die RGB-Interpolation beim XTrans-Sensor viel komplexer gestaltet als beim Bay- er-Sensor. Entsprechend ist es auch aufwändiger, be- sonders ausgefeilte Verfahren zu implementieren. Für den Kunden bedeutet das eine kleinere Produktaus- wahl an kommerziellen Raw-Konvertern. Bei Open- 103

3. KAMERATECHNIK 3.3 WIE EIN KAMERAVERSCHLUSS FUNKTIONIERT Abb. 8 | Wenn Sie einen Zylinder zur Hand haben, können Sie damit einen vollständig berührungslosen, erschütterungsfreien Verschluss realisieren. Leider liegt die damit erzielbare kürzeste Belichtungszeit gerade einmal bei rund 1/4 Sekunde (Handmodell Lucia Wenderoth). Der Verschluss (engl. Shutter) ist jenes Teil in der Ka- mera, das mechanisch oder elektronisch die Dauer der Belichtung bestimmt. Der erste einfache mecha- nische Verschluss hatte die Form einer Kappe auf dem Objektiv, die vom Fotografen händisch ab- und nach einigen Sekunden oder Minuten wieder aufge- setzt wurde. Wenn Sie perfekt erschütterungsfrei arbeiten möch- ten, können Sie ähnlich vorgehen und zum Beispiel mit einem schwarzen Zylinder als Abdeckung berüh- rungslos die Belichtungszeit bestimmen (bei vorher geöffnetem internem Verschluss). Der Nutzen kommt allerdings eher bei kürzeren Be- lichtungszeiten zum Tragen, die mit dieser hemdsär- meligen Lösung nicht gut realisierbar sind. Dafür muss man dann die modernen kamerainternen, me- chanischen Konstruktionen nutzen, die Belichtungs- zeiten bis 1/8.000 Sekunde ermöglichen. Schlitzverschluss Eine bei Systemkameras verbreitete Verschlussbau- form ist der Schlitzverschluss. Er ist als ein Vorhang ausgeführt, der aus zwei Lamellen besteht, die direkt über dem Sensor platziert sind (daher auch die engli- sche Bezeichnung Focal-Plane Shutter). Die Lamellen bewegen sich je nach Kameratyp horizontal oder ver- tikal über den Sensor. Früher waren Schlitzverschlüs- se aus Tuch gefertigt, doch heute setzt man meist hauchdünne Lamellen aus Metall ein. Ein großer Vorteil beim Schlitzverschluss ist, dass er im Kameragehäuse sitzt. Somit kommen die Wechsel- objektive ohne eigenen Verschluss aus und sind preiswerter zu fertigen. Ein Nachteil ist, dass er eine große Fläche abdecken und wieder freigeben muss. Er ist damit per se langsamer als ein Verschlusssystem an einer engeren Stelle im Strahlengang. Um den- noch kurze Belichtungszeiten zu ermöglichen, nutzt man den Verschluss in zwei unterschiedlichen Be- triebsarten (siehe auch Abschnitt 1.5: Blitzlicht): 1. Für Belichtungszeiten länger als rund 1/200 Sekun- de öffnet sich der eine Vorhang, bis der Sensor komplett offen liegt. Der Sensor liegt nun mindes- tens so lange offen, dass ein Blitzlichtimpuls kom- plett eingefangen werden könnte. Danach schließt der zweite Vorhang den Sensor. Merke: Die Belich- tung startet bereits während des Öffnens. 104

3. KAMERATECHNIK Abb. 9 | Bei einer spiegellosen Kamera wie der Sony Alpha 5000 ist der Schlitzverschluss besonders gut zu erkennen (links geschlossen, rechts offen). Er sitzt direkt vor dem Sensor und heißt daher auch Focal-Plane Shutter. 2. Für Belichtungszeiten kürzer als rund 1/200 Sekun- de beginnt die Bewegung des zweiten Vorhangs, bevor der Sensor komplett offen liegt. Ein schma- ler, wandernder „Belichtungsstreifen“ ist die Folge. Die Weiche dieser Fallunterscheidung, hier 1/200 Sekun- de, wird als Synchronzeit tsync bezeichnet. Sie ist eine Ka- merakonstante. Wenn man mit Blitzlicht arbeiten möch- te, muss der Blitz mit der Verschlussbewegung Schlitzverschluss-Timing Betriebsart 1 te ≥ tsync Verschluss- vorhänge Betriebsart 2 te < tsync Verschluss- vorhänge Verschluss vollständig geöffnet Verschluss teilweise geöffnet Abb. 10 | In der ersten Betriebsart öffnet der untere Verschlussvorhang vollständig, bis der Sensor komplett offen liegt. Jetzt kann ein eventuell beteiligter Blitz feuern. Danach schließt der obere Vorhang. In der zweiten Betriebsart für kürzere Belichtungszeiten liegt der Sensor zu keinem Zeitpunkt komplett offen. Die Vorhangteile jagen einander nach und ein von oben nach unten wandernder enger Lichtstreifen belichtet den Sensor – Blitzlicht würde hier nur einen Streifen auf dem Sensor belichten. 105

3. KAMERATECHNIK synchronisiert sein. Der herkömmliche Blitzeinsatz ohne → HSS oder → Supersync ist nur in der ersten Betriebs- art und nur bei komplett offenem Sensor möglich. Weiterhin ist zwar auch bei Betriebsart 2 sichergestellt, dass jeder Sensorpixel gleich lang belichtet wird. Al- lerdings werden die Sensorzeilen zu unterschiedli- chen Zeitpunkten belichtet. Es entsteht der Rolling- Shutter-Effekt (siehe nachfolgenden Text). Mit hochwertigen Vollformat-Schlitzverschlüssen sind Synchronzeiten bis zu 1/250 Sekunde und Be- lichtungszeiten bis 1/8.000 Sekunde möglich (im Ext- remfall sogar bis 1/12.000 Sekunde, siehe Minolta Dynax 9xi). Der Verschluss ist das mechanisch an- spruchsvollste Teil in der Kamera, das noch dazu der maximalen Beanspruchung unterliegt, und häufig li- mitiert die Verschlussabnutzung das Leben der Ka- mera. Bei preiswerten Kameras geben die Hersteller eine typische maximale Auslöseanzahl von um die 50.000–100.000 an, bei Profikameras um die 200.000– 300.000. Zwar lässt sich der Verschlussmechanismus auch tauschen, aber die Reparatur ist nicht billig (je nach Hersteller und Dienstleister 250–600 €). Wer den Verkauf seiner Kamera erwägt, kann bei höher- preisigen Modellen die Anzahl der Auslösungen ausle- sen und in der Produktbeschreibung mit angeben. Ni- kon und andere schreiben die Auslösungen in die Exif- Abb. 11 | Schlitzverschlüsse sind hochgezüchtete mechanische Konstruktionen mit einer begrenzten Lebenszeit. Wenn Sie mit Gebrauchtkameras zu tun haben, sollten Sie stets die Anzahl der Auslösungen kennen. Für Canon-Kameras kann man die Zahl mit dem kostenfreien Utility EOS Camera Info auslesen. Daten (bei Nikon ist das der Eintrag ImageNumber). Für Canon ist ein kleines, kostenfreies Spezialprogramm namens EOS Camera Info erhältlich. Zentralverschluss Anders als der Schlitzverschluss ist der Zentralver- schluss im Objektiv verbaut. Er ist aus mehreren „Blätt- chen“, nicht unähnlich der klassischen Blendenkons- truktion gefertigt, und heißt daher auf Englisch Leaf Shutter. Da er typischerweise an einer Stelle sitzt, an welcher der Strahlengang noch eng ist, muss er keine so große Fläche abdecken und wieder freigeben wie der Schlitzverschluss und ist daher schneller. Zentralverschluss Verschluss vollständig geöffnet Abb. 12 | Der Zentralverschluss erinnert an die Blende und sitzt innerhalb des Objektivs, an einer engen Stelle im Strahlengang. Bei Systemkameras ohne Schlitzverschluss muss somit jedes einzelne Objektiv mit einem eigenen Zentralverschluss ausgestattet werden. 106

3. KAMERATECHNIK Abb. 13 | Ein weniger bekannter Vorteil von Kompaktkameras mit Fixoptik ist die sehr kurze → Synchronzeit, die durch den Zentralverschluss möglich wird. Sie ermöglicht eine extreme Unterbelichtung aufs Tageslicht, um den Himmel interessanter zu machen. Bei Kameras mit Schlitzverschluss würde man hier (viel) mehr Blitzenergie benötigen. Bild rechts: Canon PowerShot G10 | Blende 4,5 | ISO 100 | Belichtungszeit 1/2.000 Sekunde | M-Modus | manuelles Speedlight an 10 m-Synchronkabel. Durch diesen Geschwindigkeitszuwachs werden auch kürzere Blitzsynchronzeiten möglich. So ermög- licht beispielsweise die Hasselblad-Mittelformatka- mera X1D-50c mit einem Objektiv XCD 45 eine Syn- chronzeit von 1/2.000 Sekunde. Mit dieser Kamera kann man somit auch an sonnigen Tagen mit Blitz- licht arbeiten und das Umgebungslicht durch eine kurze Belichtungszeit ausblenden. Für sehr kurze Belichtungszeiten ist wiederum durch den Trick der einander nachjagenden Vorhänge der Schlitzverschluss besser geeignet. Bei einer Profikamera Canon 1DX Mark II mit Schlitzverschluss ist die kürzeste Belichtungszeit 1/8.000 Sekunde. Bei der genannten Mittelformatkamera X1D-50c sind generell nur Belich- tungszeiten bis maximal 1/2.000 Sekunde möglich (An- gabe unter Verwendung der XCD-Objektivserie). Interessanterweise werden Zentralverschlüsse so- wohl in besonders hochpreisigen Mittelformat-Ka- merasystemen als auch in preiswerten Kompaktka- meras eingesetzt. Der Grund ist im ersten Fall, dass bei Mittelformat ein Schlitzverschluss nochmals dop- pelt so viel Masse bewegen müsste wie bei Kleinbild und entsprechend nochmals langsamer und anfälli- ger würde. In dieser Preisklasse fallen die entstehen- den Mehrkosten auch nicht zu sehr ins Gewicht, und so verbaut man einfach in jedes einzelne Wechselob- jektiv einen eigenen Zentralverschluss. Im zweiten Fall ist der Grund, dass bei den preiswer- ten Kompaktkameras die Optik nicht gewechselt wer- den kann und entsprechend der Verschluss auch nicht außerhalb des Objektivs in der Kamera sitzen muss. Bei Kameras mit Fixoptik ist der Zentralver- 107

3. KAMERATECHNIK schluss die bessere und auch noch preisgünstigere Lösung. Mit diesem Wissen kann man beim Blitzeinsatz trick- sen und dafür eine Kompaktkamera mit Fixoptik ver- wenden. In Frage kommen Modelle wie die Fuji X100s oder die Canon G10–G15. Auch so werden Synchron- zeiten und damit Belichtungszeiten bis zu 1/1.500 Sekunde möglich, ohne auf die → HSS- oder → Su- persync-Technik übergehen zu müssen. Kurze Synchronzeiten sollten zwar grundsätzlich mit allen Kompaktkameras mit Zentralverschluss möglich werden, aber die kürzestmögliche Zeit hängt auch von der Größe des Sensors (von der „Weite“ des Strah- lenganges) und von der Blendenöffnung ab. So funk- tioniert der Blitzeinsatz mit der Canon G10 mit einem Miniatursensor der Größe 7,44 mm x 5,58 mm sehr gut, problemlos auch bis 1/2.000 Sekunde. Mit der Kompaktkamera Canon G1X mit einem Sensor im APS-C-Format ist aber je nach Einstellung der Blende nur noch rund 1/800 Sekunde möglich. Elektronische Verschlüsse Elektronische Verschlüsse werden eingeteilt in elektro- mechanische Konstruktionen, bei denen nur die Zeit bis zum Schließen von einer elektronischen Baugrup- pe beigesteuert wird, sowie rein elektronische Lösun- gen im Sensor. Bei den rein elektronischen Verschlüs- sen unterscheidet man den Global Shutter vom Rolling Shutter. Beim Global Shutter werden alle Sensorzeilen zu gleichen Zeiten belichtet und ausge- lesen. Beim Rolling Shutter ist zwar die Belichtungs- dauer für alle Zeilen gleich, aber die Belichtungen geschehen versetzt (siehe Diagramm). Das zeitlich versetzte Auslesen bringt bei bewegten Motiven eine störende Verschiebung oder Verzerrung ein. Sportautos und Rennpferde scheinen verscho- ben, schnelle Propeller erscheinen gekrümmt. In den Kamerasensoren der ersten Generation wurde zum Auslesen der Ladungspakete von einer Potenzial- mulde zur nächsten das Prinzip des Eimerkettenspei- chers realisiert – im Englischen spricht man hier vom Global Shutter Rolling Shutter Abb. 14 | Elektronische Verschlüsse können als Global Shutter oder als Rolling Shutter ausgeführt sein. Beim Rolling Shutter geschieht das Belichten der einzelnen Sensorzeilen zeitlich versetzt. 108

3. KAMERATECHNIK Abb. 15 | Wer mit dem Smartphone schnelle Bewegungen aufnimmt, kennt das Problem des Rolling Shutters: Unterschiedliche Pixel werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten belichtet. Propellerflügel werden zu Sicheln. CCD oder Charge Coupled Device. Diese Sensoren sind rein analog aufgebaut und haben erst am Ausgang des Matrixsensors einen Verstärker als Ladungs-Span- nungs-Konverter sowie einen A/D-Wandler angeschlos- sen. Da man bei dieser Art des Auslesens generell wäh- rend der Austaktung eine Abschattung benötigt, sind alle CCD-Sensoren als Global-Shutter-Sensoren realisiert. CMOS-Sensoren werden hingegen pixelweise adres- siert und auch direkt am Pixel ausgelesen. Hierfür sind direkt bei jeder einzelnen Photodiode mehrere MOS-Transistoren integriert. Im einfachsten Fall des sog. Active-Pixel-Sensors (APS) werden drei Transisto- ren verwendet, welche die Adressierungsfunktionen Select und Reset sowie die Ladungs-Spannungs-Kon- vertierung durchführen. Damit ist bereits ein elektro- nischer Rolling Shutter realisierbar. Auch CMOS-Sensoren können mit Global Shutter reali- siert werden, benötigen dann aber zusätzliche Transisto- ren. In High-End-Videokameras werden solche Sensoren zwar bereits verbaut (Modelle Sony F55, Sony C700), aber im Massenmarkt, in Smartphones usw., hat diese Technik noch nicht Einzug gehalten. Da die Pixel dieser preis- günstigen Sensoren sehr klein sind, ist es schwierig, wei- tere Transistoren zu integrieren, und weiterhin wächst mit jedem zusätzlichen Transistor auch das Bildrauschen. Trotz dieser technischen Hürden werden wahrscheinlich in absehbarer Zeit auch preiswerte Consumer-CMOS-Ka- meras mit Global Shutter ausgerüstet werden. Merke: Auch der zuvor beschriebene mechanische Schlitzverschluss ist in seiner zweiten, schnellen Betriebs- art ein Rolling Shutter, denn auch hier werden unter- schiedliche Sensorpixel zu unterschiedlichen Zeiten be- lichtet. Diese Kenntnis ist relevant, wenn man sehr schnelle Vorgänge einfrieren möchte. Hier scheitert der eventuell naheliegend erscheinende Ansatz, eine sehr kurze Belichtungszeit von 1/4.000 Sekunde einzustellen und dazu einen Blitz im gepulsten → HSS-Modus zu ver- wenden. Zum einen wird das Ergebnis leicht unscharf, zum anderen sieht man den Rolling-Shutter-Effekt stö- rend im Bild. Sinnvoller ist es, die Kamera auf eine Zeit länger der Synchronzeit zu stellen und in einem abgedunkelten Raum mit einem Blitz auf kleiner Energie zu arbeiten. Dann bestimmt nur noch die sehr schnelle Blitzab- brenndauer die Belichtungszeit. Das Bild wird perfekt scharf und zeigt keinerlei Rolling-Shutter-Artefakte. So werden je nach Blitz Belichtungszeiten bis zu 1/30.000 für t0,5 und um die 1/10.000 Sekunde für t0,1 möglich (diese Werte sind z. B. mit einem Systemblitz auf Einstellung 1/128 der Blitzenergie realisierbar). 109

3. KAMERATECHNIK 3.4 WELCHEN EINFLUSS DIE BELICHTUNGSZEIT HAT Die Dauer der Verschlussöffnung ist gleich der Belich- tungszeit te (siehe Abschnitt 1: Licht). Die Reihe der Be- lichtungszeiten folgt aus der Lichtwert-Formel. Für EV in ganzen Schritten ergibt sich gerundet (Einheit [Se- kunden]): die Belichtungszeit immer länger, und am Ende des Einstellbereiches wechselt die Kamera auf Bulb (..., 2, 4 / 8 / 15 / 30 / Bulb). Im Bildbeispiel links mit dem Was- serfall sehen Sie die unterschiedliche Bildwirkung von kurzer und langer Belichtung. Wenn man besonders lange belichten möchte, so muss man entweder auf die Dunkelheit warten oder einen Neutraldichtefilter einsetzen. Diese Filter sind auch für extreme Dämpfungen bis –10 EV erhältlich (Kennzeichnung und Abstufung der Filter siehe Ab- schnitt 1.5, Tabelle 2: Kennzeichnung von Neutraldich- tefiltern). Normalerweise bestimmt die Belichtungszeit die Dauer der Belichtung. Wenn man aber in einem dunklen Raum Blitzlicht einsetzt, so ist die Belich- tungszeit gleich der Abbrenndauer des Blitzes – die eingestellte Belichtungszeit wird dann irrelevant. Für sehr schnelle Vorgänge und sehr kurze Belichtungen ist diese Vorgehensweise optimal. Mit Blitzlicht auf geringer Leistung sind so Abbrennzeiten bzw. Belich- tungszeiten kürzer als 1/30.000 Sekunde erzielbar. Wenn die Blitzenergie nicht ausreicht, verwendet man einfach mehrere Blitze parallel. te = 1/2 1/4 1/8 1/15 1/30 1/60 1/125 1/250 1/500 1/1000 1/2000 1/4000 1/8000 (...) Viele Kameras lassen sich aber nicht nur in ganzen Schritten, sondern in Drittelschritten einstellen. Diese Schritte passen exakt zu den Einstellmöglichkeiten der Systemblitze (Blitzenergie in Drittelstufen) sowie zur Blendenreihe. Wenn alle diese Einstellreihen in Drittelstufen funktionieren, muss der Fotograf nur noch in „Clicks“ denken. Ein Click ist dann in jeder Rei- he stets 1/3-EV-Schritt. Für die te-Reihe in Drittel-EV- Stufen ergibt sich mit EV = 0,33, 0,66, 1, 1,33, 1,66 ..., mit ISO 100 sowie mit einer Blende von k = 1,0: te = 0,795 0,63 0,5 0,39 0,31 0,25 0,198 0,158 (...) Sekunden Für schnelle Vorgänge wie scheinbar eingefrorene Wasserspritzer benötigt man Belichtungszeiten kürzer als 1/1.000 Sekunde. Lange Belichtungen können auch in den Bereich von Minuten oder Stunden ge- hen. Samtige Wasserfälle, Sternenspuren oder ver- wischte Bewegungen sind Beispiele für den kreativen Umgang mit der Langzeitbelichtung. Die im M- oder Tv-Modus einstellbare Zeit reicht meist von 1/4.000 Sekunde bis 30 Sekunden. Möchte man länger belichten, so kann das über den sogenannten Bulb-Modus geschehen. In diesem Modus öffnet ein Druck auf den Auslöser den Verschluss. Danach bleibt der Verschluss so lange offen, wie der Druck gehalten wird, dann schließt der Verschluss wieder. Praktisch hier- für ist ein Kabelfernauslöser mit einrastender Funktion. Der Bulb-Modus ist entweder direkt am Einstellrad wählbar (P/Av/Tv/M/Bulb ...) oder wird im M-Modus über die Belichtungszeit angewählt. Man stellt dann 111

3. KAMERATECHNIK 3.5 WELCHEN EINFLUSS DIE ISO-VERSTÄRKUNG HAT Was früher die ASA/DIN-Reihe für die Filmempfind- lichkeit war, das ist heute die ISO-Reihe für die Span- nungsverstärkung am Sensorausgang. In der Tabelle sehen Sie den einfachen Zusammenhang zwischen den Reihen. Man erkennt, dass sich die ISO-Reihe ein- fach aus den anderen Reihen zusammensetzt. DIN 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 ASA 100 125 160 200 250 320 400 500 650 800 ISO 100/21° 125/22° 160/23° 200/24° 250/25° 320/26° 400/27° 500/28° 650/29° 800/30° 1000 1000/31° Tabelle 1 | DIN-/ASA-/ISO-Reihe in Drittel-EV-Stufen Das aktuelle ISO-Maximum verfügbarer Digitalkame- ras liegt zum Zeitpunkt der Drucklegung bei 3.280.000 (Nikon D5 mit Sony-CMOS-Sensor). Zum Vergleich: Die empfindlichsten Schwarz-Weiß-Chemiefilme rei- chen nur bis 1600 ASA. Ein hoher ISO-Wert ermöglicht kurze Belichtungszei- ten und lange Blitzreichweiten. Nachteilig ist aber, dass das Rauschen im Bild zunimmt, da der Rausch- anteil in gleichem Maße mitverstärkt wird. Große Pixel können helfen, den Rauschanteil klein zu halten, da sie mehr Ladungen sammeln und damit auch ein stärkeres Nutzsignal generieren (Pixelfläche A ∝ Q, und, nach dem Ladungsspannungs-Konverter am Sensorausgang: Q ∝ U). Häufig gilt, dass auf gro- ßen Sensoren auch die Pixel größer sind, aber diese Regel ist nicht immer zuverlässig. Hohe ISO-Werte bzw. hohe Verstärkungsfaktoren werden in Digitalkameras meist nicht mehr über den analogen Spannungsverstärker realisiert, sondern über eine digitale Verstärkung. Hier spricht man auch von sogenannten „ISO-less Sensors“, da man die Auf- Abb. 18 | Links: ISO 100, rechts: ISO 25.600, Ausschnittsvergrößerungen (Canon EOS 5D Mk II). Ein hoher ISO-Wert erlaubt kurze (handgehaltene) Belichtungszeiten und ermöglicht auch Bilder auf Konzerten u. Ä. Der Preis ist ein erhöhter Rauschanteil im Bild. 113

3. KAMERATECHNIK nahmen auch später noch in einem weiten Bereich im Raw-Konverter pushen kann (die Belichtungszeit nachträglich verlängern kann), ohne dass ein signifi- kanter Unterschied hinsichtlich des Rauschanteils zur „korrekt“ belichteten Aufnahme sichtbar wäre. Früher hat man in der Fotografie dazu geraten, im Zweifels- fall eher einen höheren ISO-Wert einzustellen, als spä- ter die Raw-Daten zu pushen. Mittlerweile ist man zumindest bei ISO-Less-Sensoren besser beraten, um- gekehrt vorzugehen. Wenn man hier das Pushen nicht über den Belichtungsregler realisiert, sondern über ein Anheben der Gradationskurve, kann man so Glanzlichter oder Ähnliches vor der Übersteuerung retten. Besonders bei Langzeitbelichtungen kann das Rau- schen problematisch werden. Hierzu bieten viele Ka- meras eine „Long Exposure Noise Reduction“ an, in- dem sie nach Ende der Belichtung mit geschlossenem Verschluss eine zweite, gleich lange Belichtung auf- nehmen und von der ersten abziehen. Die Subtrakti- on dieser Dunkel-Aufnahme löscht dann wirkungs- voll sowohl Hotpixel als auch den nicht-stochastischen Rauschanteil. Der Nachteil ist der doppelte Zeitbedarf. 114

3. KAMERATECHNIK 3.6 WIE AUTOFOKUS-SYSTEME ARBEITEN teil- durch- lässiger Schwing- spiegel Hilfs- spiegel für den AF-Sensor AF-Sensor Abb. 19 | Der Phasen-Autofokus in den klassischen DSLRs verwendet zwei Randstrahlen, teilt diese auf zwei Linsen auf und vergleicht dann auf einer optischen Sensorzeile im Boden der Kamera den Abstand der Signale. Beim Umgang mit lichtstarken Objektiven und gerin- ger Schärfentiefe ist der perfekte Fokus auf dem Mo- tiv besonders wichtig. Zwar unterstützen die moder- nen Kameras uns Fotografen mit leistungsfähigen Autofokus-Systemen, aber ohne das Verständnis der Technik und ohne ein bisschen Übung kommt man dennoch nicht aus. Phasen- und kontrastbasierter Autofokus SLRs mit Phasen-Autofokus-System funktionieren ähnlich wie die klassischen Messsucherkameras. Zum Fokuscheck werden die Strahlengänge zweier vom Motiv ausgehender Randstrahlen auf einem optischen Zeilensensor verglichen. Dieser misst und korreliert die zwei entstehenden Intensitätsverläufe und meldet dann den Abstand der Signale zurück. So kann die Ka- mera das Objektiv schnell und ohne weitere Regelung (ohne „Pumpen“) an die Sollposition fahren. Das Problem ist hierbei, dass Bildsensor und Fokussen- sor nicht wie beim kontrastbasierten System identisch sind, sondern sich an unterschiedlichen Positionen be- finden. Eine Fehljustierung resultiert somit in einem Front- oder Back-Focus-Fehler, den das phasenba- sierte AF-System im Gegensatz zum kontrastbasierten System nicht ausregeln kann, da es diesen Fehler schlicht nicht sieht. Entsprechend sollte man gerade beim offenblendigen Einsatz lichtstarker Objektive das Phasen-AF-System von Zeit zu Zeit überprüfen. Hierzu sind Testtafeln wie der Spyder LENSCAL oder die Tafel nach Walter E. Schön erhältlich (http://tiny.cc/215mjy). Wenn Sie hiermit einen Fehler messen, sollten Sie das Gehäuse und das Objektiv gemeinsam zum Service einsenden. Bei höherpreisigen Kameras kann der An- wender auch selbst Korrekturfaktoren im Gehäuse ablegen. Beim kontrastbasierten AF-System hingegen er- folgt eine klassische Regelung, die bei wanderndem Fokus jeweils den lokalen Kontrast am gewählten Fo- kuspunkt misst. Das Verfahren vergleicht dann relativ zum vorigen Maximum. Man merkt als Anwender 115

3. KAMERATECHNIK Abb. 20 | Bei der Korrektur eines dejustierten Phasen-AF-Systems hilft eine Testtafel. Abgebildet ist die Tafel von W. E. Schön (http://tiny.cc/215mjy). deutlich, wie der Regelalgorithmus sich durch ein mehrfaches Vor- und Zurückfahren des Motors an die optimale Position herantastet. Nachteilig kann der höhere Zeitbedarf sein, allerdings hat dieses Verfahren in den letzten Jahren kräftig auf- geholt. Die großen Vorteile sind, dass bei diesem Ver- fahren kein Front oder Back Focus auftritt, dass man den Fokuspunkt fast bis an den Rand legen kann und dass der erzielte Fokus häufig auch noch präziser ist als beim Phasen-AF. Mit der wachsenden Verbreitung der Kameras mit elektronischem Sucher wächst auch die Verbreitung der kontrastbasierten Systeme, und im Rahmen dieses Umbruchs werden die Algorith- men immer weiter verbessert. Im Moment sieht es danach aus, als ob die Zukunft diesen Systemen ge- hören könnte. Merke: Viele klassische DSLRs mit Phasen-AF bieten im Liveview- oder Film-Modus auch einen kontrast- basierten AF an, in welchem man dann auch Fokus- punkte bis fast an den Rand legen kann. Versuche damit, gerade auch in Verbindung mit einer Display- lupe, können sich lohnen. Hybridsysteme kombinieren Phasen- und Kontrast- systeme. Hier sind auf dem Bildsensor neben den Bildsensorpixeln auch Phasensensorelemente unter- gebracht. Fokustechniken > Vollautomatischer Fokus Wo man beim Smartphone den Fokuspunkt mit dem Touch-Finger bestimmt, muss man bei Systemkame- ras meist noch explizit einige Tasten bemühen. Preis- wertere DSLR-Kameras bieten häufig neun Pha- sen-AF-Sensoren an, hochwertigere auch 61 und mehr. Wenn man der Kamera im Vollautomatikmodus die Wahl des AF-Sensors überlässt, wird sie stets jene 116

3. KAMERATECHNIK AF-Sensoren heranziehen, die Kanten sehen (also tat- sächlich fokussieren können). Hiervon stellt sie dann auf jene Kante scharf, welche der Kamera am nächs- ten ist. Häufig ist das keine gute Idee. unscharf werden. Für ein gutmütiges Telezoom 70– 200 auf 200 mm und auf Blende 4,0 taugt das Verfah- ren, aber mit einem kapriziösen 50-mm-Objektiv, auf Blende 1,4, sollte man anders fokussieren. Etwas eleganter ist der Ablauf, wenn man den emp- findlichen, mittleren AF-Sensor verwendet, fokussiert, und dann bei halb durchgedrücktem Auslöser den Bildausschnitt neu wählt. Der Angelsachse spricht hier vom Focus and Recomposing. > Fokus mit anschließender Ausschnittsneuwahl Das gerade beschriebene Verfahren des Focus and Recomposing funktioniert grundsätzlich gut und ge- lingt gerade in Verbindung mit der Back-Button-Fo- cus-Technik auch besonders bequem (siehe unten). Bei kurzen Brennweiten und bei Offenblende wird aber der entstehende Fehler so groß, dass die Fotos > Fokus mit einem passenden AF-Sensor Das geschilderte Problem des Winkelfehlers kann man vermeiden, indem man stets einen passenden AF-Sensor auswählt. Wer eine Kamera mit sehr vielen AF-Phasen-Sensoren verwendet, sollte eventuell die Anzahl der verfügbaren Sensoren auf die empfindli- cheren Kreuzsensoren einengen, um schneller den AF-Sensorpunkt einstellen zu können. Die Auswahl des AF-Sensors kann dann entweder im Moment des Fotografierens erfolgen oder auch, wenn man den Bildschnitt bereits vor Augen hat, vor der Aufnahme. Manche Kameras behalten beim Wechsel von Quer- auf Hochformat die Wahl des AF-Sensorpunktes bei. Abb. 22 | Die Anzahl der verfügbaren Phasen-AF-Sensoren variiert je nach Kameraklasse (links: preiswertes Modell mit neun Sensoren, rechts: hochpreisiges Modell mit 61 Senso- ren). Leider tummeln sich prinzipbedingt selbst in der Profiklasse die Sensoren in der Mitte. Wer den Fokus weiter an den Rand legen möchte, muss tricksen. Je hochpreisiger die Kamera, desto mehr Pha- sen-AF-Sensoren sind vorhanden. Durch die grund- sätzliche technische Limitierung der Phasen-AF-Sys- teme tummeln sich diese aber leider auch in der Profiklasse alle in der Mitte. Wenn Sie den Fokus näher an den Rand legen möchten, bieten sich mehrere Tricks an. So können Sie ein Zweier-Panorama aufneh- men (vgl. Abschnitt 5.2), lokales Focus and Recompo- sing durchführen oder auch auf Liveview umschalten. 117 Abb. 21 | Wer stets den mittleren AF-Sensor verwendet und dann den Ausschnitt neu wählt, verursacht einen Fokusfehler. Bei weiter Blende, kurzer Brennweite und damit großem Winkel kann dieser Fehler zu groß werden. Das Bild wird dann unscharf.

3. KAMERATECHNIK > Lokales Focus and Recomposing Wenn Sie den Fokuspunkt an den Rand legen möch- ten und dort keine AF-Sensoren mehr vorhanden sind, kann ein Ausweg sein, den nächsten verfügba- ren AF-Sensor zu wählen und dann erst die Aus- schnittsneuwahl vorzunehmen. Es entsteht zwar ein Fehler, aber dieser ist zumindest kleiner, als wenn Sie den mittleren Sensor benutzt hätten. > Fokus im Liveview-Modus Völlig frei ist man, wenn man eine Displaylupe auf- setzt und auf der Basis des digital eingezoomten (pixel genauen) Liveview-Bildes manuell fokussiert, aber das Ein- und Auszoomen ist auf Dauer aufrei- bend. Ein guter Kompromiss kann sein, eine Display- lupe auf dem nicht gezoomten Livebild zu nutzen und den im Liveview-Modus häufig verfügbaren kon- trastbasierten AF zu verwenden. Je nach Kamera ist dieser zwar langsamer als das pha- senbasierte AF-System. Dafür ist aber auch das Fokus- sieren im Randbereich möglich, und häufig ist die Fokusgenauigkeit auch besser als beim Phasen-AF. Wer eine Kamera mit elektronischem Sucher und Kontrast-AF oder Hybrid-AF nutzt, spart sich naturge- mäß die Lupe. > Fokus bei bewegten Motiven Die bisher geschilderten Techniken gehen von einem One-Shot-AF-System aus – von einem Autofokus, der Abb. 23 | Beim Fokussieren im Liveview-Modus hilft eine Displaylupe ungemein (hier ein Produkt der Firma Kinotehnik). 118

3. KAMERATECHNIK nach Erreichen der Fokusposition piepst und sich dann abschaltet. Beim Pferderennen oder bei Models auf dem Catwalk sollte man dagegen auf den Ser- vo-AF bzw. Continuous-AF umstellen und vor der ei- gentlichen Aufnahme das Motiv kurz tracken. Dies geschieht am bequemsten per Back-Button Focus, indem man mit dem Daumen die AF-ON-Taste betä- tigt, aber noch nicht auslöst (siehe unten). Dieses Tra- cking ermöglicht dem AF-System eine Vorhersage über die weitere Bewegung des Motivs und verbes- sert die Trefferrate. Wenn der Modus Servo AI verfüg- bar ist, spart man sich den One-Shot/Servo-Wechsel, da dann die „Künstliche Intelligenz“ je nach Motiv ei- genständig das Umschalten vornimmt (AI = Artificial Intelligence). > Fokus im Dämmerlicht Besonders knifflig wird das Fokussieren, wenn das Licht nachlässt, denn ohne Licht funktioniert weder der Phasen-AF noch der Kontrast-AF. Herstelleranga- ben wie „Fokus bis Lichtwert Minus Drei“ sind zwar werbewirksam und machen Hoffnung, aber auch nur so lange, bis man wirklich einmal im Mondlicht fokus- sieren möchte. Für ein vernünftiges Arbeiten benötigt man dann eine Zusatzlichtquelle. Infrage kommt ein Laser- oder Infrarot-AF-Assist-Licht, wie es höherpreisige Speedlights oder Funkmodule aussenden, ein Smartphone (vom Modell selbst kurz an die Wange gehalten) oder eine starke Taschenlampe. Eine Taschenlampe wie die LED Lenser P7 funktioniert besonders gut, weil man bei dieser Lampe das Licht auch fokussieren kann. Der Ablauf ist dann folgender- maßen: Man hält die Kamera in der rechten Hand, und die Taschenlampe in der linken Hand unter der Kamera, und beleuchtet das Motiv. Dann fokussiert man mit der Kamera auf das Motiv, schwenkt die Lampe nach unten weg und löst aus. Wenn man das vor dem Shooting ein Abb. 25 | Nachts hilft eine Zusatzlichtquelle – ein „Focus-As- sist“-Licht – dem Autofokus auf die Sprünge. Höherpreisige Speedlights oder Funkmodule haben diese Funktion häufig an Bord (im Bild: Yongnuo Funksender YN-622C mit Laser- projektion). Da lohnt es sich, auch wenn man gar nicht blitzen möchte, einen Blitz oder Blitzsender aufzustecken. 120

3. KAMERATECHNIK Abb. 26 | Taschenlampe in der linken, Kamera in der rechten Hand – so gelingt das Scharfstellen auch nachts. Nach dem Fokusvorgang, kurz vor dem Auslösen, schwenkt man die Lampe nach unten weg. wenig übt, hat man den Ablauf rasch verinnerlicht. Und wenn das Phasen-AF-System die Arbeit verweigert, lohnt auch wieder der Versuch, auf Liveview umzustel- len und den Kontrast-AF zu nutzen. > Back-Button Focus Die Back-Button-Focus-Funktion ist eine Erfindung des Herstellers Canon aus dem Jahr 1989 und wurde mitt- lerweile von fast allen anderen Herstellern übernom- men. Der Gedanke dahinter ist schnell erklärt: Man trennt den Autofokusbefehl vom Auslöseknopf und nutzt ab dann zum Fokussieren einen Knopf hinten am Gehäuse (daher Back-Button). Bei Canon und Nikon heißt der Knopf AF-ON, aber je nach Kamera kann man auch z. B. die besser erreichbare Stern-Taste damit bele- gen. Der große Nutzen dieser Funktion erschließt sich im fotografischen Alltag erst nach und nach, aber von da an möchte man BBF nicht mehr missen. Die Vorteile in der Kürze: 1. Ein Focus and Recomposing muss man nur noch einmal vornehmen. Danach nimmt man einfach den Dauen vom AF-ON-Knopf und der Fokus 121

3. KAMERATECHNIK bleibt für alle folgenden Fotos unverrückbar beste- hen. Diese Technik taugt auch perfekt für Panora- men oder Bokehramen aus der Hand. 2. Sportfotografen können beim Fußballzweikampf den Gewinner im Servo-Modus weiter tracken (mit dem Finger auf AF-ON bleiben) oder auch die Schärfezone belassen (den Finger heben). Weiter- hin können sie, wenn ein störender dritter Spieler im Vordergrund ins Bild läuft, kurz den Finger von AF-ON nehmen und danach wieder weitertracken. Mit dem Aufkommen der elektronischen Sucher ha- ben sich die kontrastbasierten und hybriden AF-Sys- teme immer weiter durchgesetzt. Weiterhin halten auch moderne Features wie Gesichtserkennung und → Focus Peaking Einzug und machen uns Fotografen das Leben leichter. Als neuster Trend ist ein Verfahren zu nennen, das in der Canon 5D Mk IV implementiert ist und – innerhalb gewisser Grenzen – selbst nach der Aufnahme noch ein Nachjustieren des Fokus er- möglicht. Moderne Technik hilft, aber Übung, Praxis und die Kenntnis der technischen Hintergründe hel- fen noch mehr. 3. Strobisten und Studio-Fotografen freuen sich über flotte Testschüsse fürs Licht aus der Hüfte, denn sie müssen nun der Kamera zum Auslösen nichts Fo- kussierfähiges mehr vorsetzen. Die Umstellung geschieht bei jeder Kamera ein we- nig anders – hier hilft nur der Blick in das Handbuch. In Abb. 28 sehen Sie die Umstellung am Beispiel der Canon EOS 5D Mark II. Bei dieser Kamera kann man die Funktion wahlweise auf die Taste AF-ON oder auf die Stern-Taste legen. Abb. 28 | Die Back-Button-Focus-Funktion, hier am Beispiel einer Canon-Kamera. Nach der Umstellung ist der Autofokus vom Auslöser entkoppelt. Den Fokusvorgang startet man dann mit der AF-ON- oder mit der Sterntaste. 123

3. KAMERATECHNIK 3.7 WIE MAN BILDER OHNE VERWACKLUNG AUFNIMMT Etwas mathematischer und klarer formuliert lautet die Faustformel: tmax = cis f · ccrop Hierin ist tmax: maximale verwacklungsfreie Belich- tungszeit, f: Brennweite, ccrop: Crop-Faktor, cis: Zeitzuge- winn durch eine evtl. Bildstabilisierung (cis = 8 oder 16; ohne IS: cis = 1). Beispiel 38: Welche maximale Belichtungszeit kann man noch wackelfrei aus der Hand halten, wenn man eine Kamera mit DX-Format mit einer 85er Brennweite verwendet (DX-Format hat Crop-Faktor 1,5)? Rechnen Sie einmal ohne, einmal mit Bildstabi- lisierung (der Zugewinn sei 4 EV). Geben Sie einstell- bare Werte an – statt 0,00204 s würden Sie 1/500 s angeben. Lösung: Ohne Bildstabilisierung: tmax = 1 / (85 · ccrop) Sekunden = 0,0078 s ≈ 1/125 s Mit Bildstabilisierung: tmax = [1 / (85 · ccrop)] · cis = [1 / (85 · 1,5)] · 16 s = 0,125 s = 1/8 s „Ein Fünfzigstel geht noch gut aus der Hand.“ Wer kennt ihn nicht, diesen schönen Satz. Eine immer wie- der gerne vorgebrachte Faustregel unserer Väter und Großväter zur Frage: Welche Belichtungszeit kann man noch verwacklungsfrei aus der Hand verwen- den? Die Regel ist immer noch hilfreich, allerdings muss man sie für die heutige Technik erweitern. Sie wurde aufgestellt für Kleinbild-Kameras (24 mm x 36 mm) mit einer Brennweite von 50 mm. Wer Objektive mit anderer Brennweite verwendete, der musste auch damals schon umrechnen, da Teleobjektive ver- wacklungsanfälliger sind: Bei Kleinbild kann man mit einer Belichtungszeit von tmax = 1/f noch aus der Hand fotografieren. Weiterhin werden heute häufig Sensoren verbaut, die kleiner sind als das Kleinbildformat. Hier kann man die Regel nur anwenden, wenn man den Crop-Faktor ccrop einbezieht: Bei Crop-Kameras kann man mit einer Belichtungs- zeit von tmax = 1 f · ccrop noch aus der Hand fotografieren. Das ist bereits besser, aber immer noch nicht allge- meingültig. Moderne Objektive verfügen mittlerwei- le häufig über einen aktiven Verwacklungsschutz (Image Stabilization IS, Vibration Control VC), und hiermit sind dann wieder längere Belichtungszeiten möglich. Je nach System spricht man von rund 3 bis 4 EV, entsprechend von rund einem Faktor 8 bis 16 bei der Belichtungszeit. Das führt dann schlussendlich zur aktualisierten Version der Regel unserer Väter: Eine Belichtungszeit von [(1/Brennweite)/Crop-Fak- tor] · (8...16 mit IS) geht noch gut aus der Hand. 124